Schulprogramme und Schuljahresberichte
Für das preußische Kultusministerium waren die Berichte wichtig, um vergleichbare Angaben über die Schulen zu erhalten, sie betrieben also schon etwas, was wir heute „Bildungsmonitoring“ nennen. Für diese statistischen Arbeiten zu den preußischen Schulen und ihren Lehrkräften wurde eine eigene „Auskunftsstelle für Schulwesen“ eingerichtet. Ihr wurden 1922 die Schuljahresberichte des Kultusministeriums übergeben und die Sammlung von ihr fortgeführt. Die Bestände dieser Auskunftsstelle, die den Namen im Laufe ihrer Geschichte mehrmals gewechselt hat, wurden schließlich 1997 von der BBF übernommen und ergänzten den dort bereits vorhandenen beträchtlichen Bestand an preußischen und aus anderen deutschsprachigen Regionen stammenden Berichten. Umfangreiche Personalunterlagen preußischer Lehrkräfte aus der Auskunftsstelle befinden sich im BBF-Archiv.
Nahezu vollständig ist die Sammlung der preußischen Berichte für die Jahrgänge von 1825 bis 1915 und von 1921 bis 1940. Ab Anfang des 20. Jahrhunderts gehören auch Berichte von höheren Mädchenschulen zur Sammlung. Nach Beginn des Ersten Weltkrieges wurde die Ablieferung der Berichte eingestellt und erst 1921 wieder aufgenommen. Die Berichte der Zwischenkriegszeit sind nur zum Teil gedruckt, oft hand- oder maschinenschriftlich angefertigt, also im Wesentlichen Unikate, die es nur in der BBF gibt. Die verpflichtende Erstellung und Ablieferung der Jahresberichte endete 1940, kurz nach dem erneuten Kriegsausbruch. Es gibt aber auch wesentlich ältere Ausgaben in der Sammlung und Berichte aus anderen deutschen Regionen. So stammt z.B. das älteste Schulprogramm, Kurtze Nachricht von gegenwärtiger Einrichtung der Teutschen Schulen bey der Dreyfaltigkeits-Kirche auf der Friedrichsstadt in Berlin, aus dem Jahr 1744. Auch von Mädchenschulen gibt es vereinzelt bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Berichte, z.B. die Jahresberichte der Königlichen Elisabeth-Schule zu Berlin.
Entstehung und Geschichte der Schulprogramme und Schuljahresberichte
Als „Schulprogramme“ wurden seit dem 18. Jahrhundert Einladungsschriften zu Veranstaltungen höherer Schulen bezeichnet, insbesondere zu den in Form von öffentlichen Prüfungen gestalteten jährlichen Entlassungsfeiern. Sie enthielten das „Programm“ der Veranstaltungen, d.h. eine Beschreibung von deren Ablauf, und richteten sich in erster Linie an Eltern und Förderer der Schule. Später wurden diese Einladungsschriften um Schulnachrichten erweitert und wissenschaftliche Abhandlungen beigefügt, die vom Direktor oder einem anderen Lehrer der Schule stammten.
Die ursprüngliche Funktion der Schulprogramme als Einladung zu Schulveranstaltungen ging im Lauf des 19. Jahrhunderts verloren, zumal öffentliche Prüfungen mehr und mehr an Bedeutung verloren und bis Ende des 19. Jahrhunderts abgeschafft wurden. Die weiterhin regelmäßig veröffentlichten Schriften wechselten daher mit ihrem Charakter und ihrer Funktion auch ihre Bezeichnung: aus „Schulprogrammen“ wurden „Jahresberichte“, „Bericht über das Schuljahr …“ oder ähnliche Titel. Der heutige Begriff „Schulprogramm“ als Planungsdokument zur Entwicklung einer Schule hat somit sprachlich und historisch eine andere Herkunft als ihn die historischen Schulprogramme haben.
Schulprogramme und Schuljahresberichte in Preußen
Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde in den meisten deutschen Staaten die regelmäßige Vorlage eines solchen Jahresberichts für höhere Schulen vorgeschrieben. Am 23. August 1824 erließ das preußische Kultusministerium (damals „Ministerium der Geistlichen, Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten“ genannt) das „Circular-Rescript […] die Gymnasial-Prüfungsprogramme betreffend.“ In diesem Runderlass wurde für alle Gymnasien des Königreichs Preußen detailliert der Aufbau und Inhalt der Berichte, die Finanzierung des Drucks und die Ablieferung an die Universitätsbibliotheken und das Ministerium geregelt. Es folgten Bestimmungen über den Tauschverkehr der Programme unter den Gymnasien, so dass im Laufe des Jahrhunderts ein regelmäßiger Schriftentausch zwischen den preußischen und deutschen höheren Schulen entstand. Er wurde schließlich vom Teubner-Verlag in Leipzig organisiert. Teubner gab zudem für die Jahrgänge von 1876 bis 1910 eine mehrbändige Bibliographie der den Programmen beigefügten Abhandlungen heraus. Viele Gymnasien konnten so große Sammlungen der Berichte anderer Gymnasien anlegen. Während die Sammlungen in den Schulen selbst meist nicht mehr existieren, besitzen neben der BBF vor allem Universitätsbibliotheken große Bestände von Schulprogrammen, insbesondere die in Gießen, Leipzig oder Düsseldorf.
Aufbau und Inhalt der preußischen Schuljahresberichte
Schuljahresberichte sind für zahlreiche Fragestellungen der schul- und (bildungs-)historischen Forschung ein fundamentales und noch längst nicht vollständig ausgewertetes Quellenmaterial. Sie enthalten u.a. Informationen zu Lehrkräften, den erteilten Unterricht, zu Prüfungen, verwendeten Schulbüchern und Lehrmaterialien sowie über Absolventinnen und Absolventen. Das „Circular-Rescript“ von 1824 nennt folgende verpflichtenden Bestandteile der Schulnachrichten, denen eine Abhandlung über einen wissenschaftlichen Gegenstand vorangestellt werden sollte:
- „die allgemeine Lehr-Verfassung“ der Schule mit Aufführung aller Klassen mit den jeweiligen Lehrern, den Fächern und ihrer Stundenzahl, den benutzten Lehrbüchern,
- eine Schulchronik, die insbesondere die Eröffnung des Schuljahres, Schulfeiern, Veränderungen im Lehrerkollegium und außerordentliche Ereignisse im Laufe des Schuljahres erwähnen sollte,
- eine statistische Übersicht über „die Zahl der Schüler sowohl im Ganzen als in jeder einzelnen Klasse“, die abgegangenen Schüler, Zugänge in Schulbibliothek und Lehrmittelsammlungen sowie über Stiftungen zugunsten von Schülern sowie
- das Programm der öffentlichen Prüfungen.
Dieses Schema wurde im Lauf der Zeit zwar modifiziert, aber nicht grundlegend verändert. Somit erlauben die Schuljahresberichte als serielle Quelle tiefe Einblicke in die Praxis des Unterrichts und des allgemeinen Schullebens. Ebenso stellen sie umfangreiches Material zur Untersuchung der Lehrkräfte oder Schülerinnen und Schüler als Gruppe bereit (prosopographische Studien). Auch die beigefügten wissenschaftlichen Abhandlungen sind bedeutsam, so sind sie etwa für Fragen zur Entwicklung des Fachunterrichts von großem Interesse.
Benutzung der BBF-Sammlung
Die BBF ist bestrebt, diese einzigartige Sammlung der bildungshistorischen Forschung, aber auch allen anderen Interessierten möglichst unkompliziert bereitzustellen. Erschwert wurde und wird die Nutzung durch den teilweise schlechten Erhaltungszustand der meist in dicken Bänden zusammengefassten Berichte. Inzwischen wurden die meisten Bände aufgelöst und die Berichte als einzelne Ausgaben schonender in Archivkartons gelagert, was die Benutzung vor Ort und die Digitalisierung erleichtert.
Recherche im Bibliothekskatalog
Der überwiegende Teil der BBF-Bestände ist im Bibliothekskatalog verzeichnet. Wegen der wechselnden Namen der Schulen und Titel erfordert die Recherche oft mehrere Suchansätze, um alle gesuchten Jahresberichte zu finden. Ein guter Sucheinstieg ist die Suche mit dem Schlagwort „Schulprogramm“ und dem Erscheinungsort. Dazu wird im Suchschlitz des Bibliothekskatalogs die folgende Eingabe gemacht:
su,phr: schulprogramm and pl,wrdl: ortsname
Für Berlin würde die Anfrage also lauten:
su,phr: schulprogramm and pl,wrdl: berlin
Die Suche kann dann weiter über die Filter links im Bibliothekskatalog verfeinert werden.
Bei Fragen oder wenn Sie Hilfe bei der Recherche benötigen, wenden Sie sich bitte gerne an unsere Beratung & Fachauskunft.
Benutzung online
Die BBF hat begonnen, die Schuljahresberichte frei zugänglich im Netz bereitzustellen. Dies ist jedoch eine Aufgabe, die aufgrund des Bestandsumfangs noch längere Zeit in Anspruch nehmen wird.
Bisher vollständig digitalisiert sind die vorhandenen Berichte der Mädchen- und Jungenschulen der preußischen Provinz Sachsen von 1921/1922 bis 1939/1940 und größere Bestände aus Berlin, darunter die der Jungenschulen aus dem Zeitraum 1921/1922 bis 1925/1926 sowie die der Mädchenschulen von 1925/1926 bis 1939/1940 vollständig, die der Mädchenschulen von 1921/1922 bis 1923/1924 werden gerade digitalisiert.
Die digitalisierten Schulprogramme können entweder über den Bibliothekskatalog recherchiert und von dort aufgerufen oder direkt im Textarchiv der BBF, ScriptaPaedagogica, benutzt werden. Unter „Schulprogramme“ kann durch die Baumstruktur der vorhandenen Digitalisate (Aufklappen durch Klicken auf das Symbol „+“), geordnet nach Region und darunter nach Ort und Ortsteil, navigiert werden. Alternativ können auch komplexere Suchen über die Rechercheseite durchgeführt werden.
Auch andere Bibliotheken haben Schuljahresberichte aus ihren Beständen digitalisiert und online zugänglich gemacht. Die BBF plant, mit diesen Bibliotheken zusammen einen übergreifenden Onlinenachweis der digitalisierten Schulprogramme zu erstellen.