Neue Edition zum Netzwerk rund um Pestalozzis Erziehungsinstitut in Yverdon (Schweiz)
Im Jahr 1805 eröffnete Pestalozzi in Yverdon ein Erziehungsinstitut, das mit dem Versprechen verbunden war, nicht nur eine auf die ganzheitliche Entwicklung der menschlichen Kräfte ausgerichtete Erziehung anzubieten, sondern auch eine neue Unterrichtsmethode für die im Entstehen begriffene Volksschule zu entwickeln. Das Institut erregte, wie schon sein Vorgängerinstitut in Burgdorf, rasch internationale Aufmerksamkeit und wurde zu einem »Pilgerort« für an der Reform von Erziehung und Unterricht interessierte Personen. Es bot nicht nur eine zeitgemäße Ausbildung für zahlreiche Schüler*innen aus ganz Europa, sondern verstand sich auch als Ort der Aus- und Weiterbildung für angehende und bereits berufstätige Lehrkräfte. Viele dieser Lehrpersonen waren nach ihrem Aufenthalt in Yverdon am Aufbau der modernen, staatlichen Schule in ihren Heimatländern beteiligt und pflegten untereinander weiterhin Kontakt. Die umfangreichen schriftlichen Zeugnisse, die in dieser Edition versammelt sind, dokumentieren den persönlichen und beruflichen Austausch dieser Akteure.
Das gemeinsame Projekt der BBF und des Zentrums für Schulgeschichte der Pädagogischen Hochschule Zürich hat zum Ziel, diese bedeutenden Quellen zur »Geschichte der Schule im Übergang von der kirchlichen zur staatlichen Organisation«, so der Titel der Edition, frei zugänglich zu machen. Die Briefe und Dokumente stammen aus den Nachlässen verschiedener Lehrpersonen, die während kürzerer oder längerer Zeit in Yverdon ausgebildet wurden und auch nach ihrer Zeit dort weiterhin pädagogisch tätig waren. Die Originale befinden sich im Besitz der BBF und der Stiftung Pestalozzianum in Zürich. Sie werden nach gemeinsam erarbeiteten Standards aufbereitet und sowohl als Transkriptionen als auch als Bilder der Originaldokumente frei zugänglich gemacht. In einem ersten Schritt werden zwei Editionen – Edition »Hermann Krüsi« und Edition »Johann Wilhelm Mathias Henning« – über die BBF-Plattform EditionenBildungsgeschichte veröffentlicht.
Edition »Hermann Krüsi (Senior und Junior)«
Hermann Krüsi (Senior, 1775–1844) zählte zu den ersten Mitarbeitenden von Pestalozzi und gründete 1818 eine eigene Erziehungsanstalt. Im Jahr 1822 übernahm er die Leitung der Kantonsschule in Trogen und gründete 1833 ein Lehrerseminar in Gais. Krüsi veröffentlichte zahlreiche Schriften zum Elementarunterricht, zu Bildung, Erziehung, Schule und Lehrerbildung sowie autobiografische Werke. Sein Sohn Hermann Krüsi (1817–1903) entschied sich ebenfalls für eine Karriere im Lehrberuf. Er wanderte in die USA aus und war dort am staatlichen Seminar in Oswego (NY) tätig.
Es wurden etwa hundert Briefe und weitere Dokumente von und an Hermann Krüsi (Senior und Junior) aus dem familiären Umfeld ediert. Die Dokumente umfassen den Zeitraum von 1800 bis 1881. Die Dokumente stammen aus dem Teilnachlass von Hermann Krüsi (Senior, 1775–1844) in der Stiftung Pestalozzianum in Zürich.
Edition »Johann Wilhelm Mathias Henning (1783–1868)«
Henning arbeitete zunächst an der Bernoullischen Lehranstalt in Basel und wurde von 1809 bis 1812 auf eigenen Wunsch und auf Kosten der preußischen Regierung als »Eleve« nach Yverdon entsandt. Später war er an Lehrerseminaren in Breslau und Bunzlau tätig, bevor er die Position des Direktors des Lehrerseminars in Köslin übernahm. Zudem gab er das Monatsblatt für Pommern’s Volksschullehrer heraus.
Ediert wurden Teile von Hennings Nachlass aus der Stiftung Pestalozzianum in Zürich, darunter sein Tagebuch »Mein Leben in Helvetien« sowie Briefe an ihn von den beiden Pädagogen Peter Friedrich Theodor Kawerau (1789–1844) und Johann Heinrich Krüger (1769–1848), die ebenfalls vom Preußischen Staat zur Ausbildung nach Yverdon gesandt worden waren.
Johann Wilhelm Mathias Hennings Tagebuch
In seinem Tagebuch, das die Jahre 1806 bis 1812 umfasst, berichtet Henning ausführlich von seiner Tätigkeit als Lehrer an der Bernoullischen Lehranstalt, über seine dort geknüpften Kontakte zu Akademikern, Politikern, Industriellen und Geschäftsleuten und gibt Einblick in seine persönlichen Empfindungen, darunter Selbstzweifel, Heimweh und Dankbarkeit. Aus Yverdon berichtet er über seinen Unterricht, die Lehrer, Schüler und anderen preußischen Eleven, die er dort kennenlernte, sowie Begegnungen mit anderen Pädagogen und seine Reisen.
Briefe von Friedrich Theodor Kawerau an Johann Wilhelm Mathias Henning
Kawerau kam 1809, gleichzeitig mit Henning, nach Yverdon, leitete in der Folge eine Elementarschule in Elbing und wechselte dann an die Waisen- und Schulanstalt in Bunzlau. Dort baute er das Waisenhaus zu einer höheren Bürgerschule mit Lehrerseminar um. Später war er als Direktor in drei preußischen Bildungseinrichtungen tätig und schließlich Regierungs- und Schulrat in Köslin. In seinen Briefen an Henning berichtete er über pädagogische Fortschritte, Herausforderungen, das Verhältnis von Protestanten und Katholiken sowie private Themen.
Briefe von Heinrich Krüger an Johann Wilhelm Mathias Henning
Krüger hatte bereits als Konrektor an einem Gymnasium in Böhmen gearbeitet, bevor er ebenfalls nach Yverdon entsandt wurde. Den Großteil seiner späteren Laufbahn verbrachte er als Oberlehrer an der Königlichen Waisen- und Schulanstalt in Bunzlau. In seinen Briefen an Henning berichtet er über Anstaltsumbauten, Lehrerkonflikte und hohe Arbeitsbelastung. Weiter schreibt er über Reisen zu Verwandten, seinen Glauben, christliche Vereine, den Tod, Proteste gegen die preußische Armee sowie religiöse Dispute.